Organisationen neu erfinden
Letzte Woche durfte ich den DevOps Leader Kurs® vom DevOps Institute in einer online Version als Trainer durchführen.
Es ist in den aufkommenden Gesprächen wieder deutlich geworden, welch besondere Wirkung die verschiedenen Leadership Typen haben. Wie soll ich mich verhalten, soll ich von Command & Control plötzlich auf Servant Leadership gehen? Ist das realistisch und noch mehr, ist das überhaupt glaubwürdig? Doch wie nötig ein Wechsel alter Verhaltensweisen sein kann, wollen wir ein wenig beleuchten.
Eine Tatsache wird vorerst bleiben. Verhalten, insbesondere Führungsverhalten, ist einer der Hauptschlüssel in diesen Tagen um Ergebnisse schneller, sicherer und auch zufriedenstellender zu erzielen und das Wohl eines jeden einzelnen dabei auch noch zu berücksichtigen.
Die Welt der Arbeit hat sich geändert. Wir haben uns vom Zeitalter des Öls und der Massenproduktion, in dem die meisten menschlichen Bestrebungen sich wiederholten und bekannt waren, zum Zeitalter der Digitalisierung hin bewegt, in dem menschliche Bestrebungen immer einzigartiger und unbekannter werden und in dem Software einen kontinuierlichen Strom von Produktinnovationen ermöglicht unabhängig vom Industriesektor.
Mit den neuen Produktionsmitteln ist die Änderung kein Stakkato mehr; sie ist kontinuierlich und das Tempo nimmt zu.
Heutzutage besteht ein Bedarf an experimentieren, viele wollen sich einfach ausprobieren und das auch am Arbeitsplatz. Es besteht der Bedarf an Zusammenarbeit, an dem Bedarf schnellstmöglich Wissen anzueignen, um sich flexibel anzupassen, um Arbeitsergebnisse zu optimieren. Dies erfordert ein Umfeld, in dem es sicher ist zu experimentieren; man darf früh und auch oft scheitern, (fail early als eines der Prinzipien von DevOps) ohne Angst vor Repressalien zu haben.
Die Bestrebung ist offensichtlich. Man möchte durch ein hohes Mass an Befähigung und fokussiertem Arbeiten auf ein gemeinsames gewünschtes Ergebnis hinsteuern. Dies ist eine einnehmendere, lohnendere und menschlichere Art zu arbeiten.
Leider ist gesunder Menschenverstand keine gängige Methode. Laut dem letzten State of Agile Report sind vier der fünf grössten Hindernisse für eine bessere Arbeitsweise kultureller Natur -darunter eine zu geringe Beteiligung der Führung und eine unzureichende Unterstützung und Förderung durch das Management.
Im Folgenden werden drei gängige Muster und die entsprechenden Anti-Muster, für Führungskräfte auf allen Ebenen und in allen Rollen beschrieben, um wie eingangs erwähnt, schneller, sicherer und glücklichere Ergebnisse zu erreichen.
Anti-Muster oder neudeutsch Anti-Pattern, sind Herangehensweisen, die normalerweise Gegenwind erzeugen, der einen anstrengenden Job noch schwieriger macht. Auf der anderen Seite stehen die Muster und Prinzipien, die normalerweise Rückenwind erzeugen. Weil Änderungen aufkommen und Organisationen komplexe, anpassungsfähige Systeme sind, gibt es keine Patentlösung für alle Herausforderungen und keine Methode, die für sich alleingenommen der Heilsbringer ist.
Von daher bin ich auch nie müde zu erwähnen, dass DevOps keine Methode darstellt, sondern eine kulturelle Bewegung.
- do as I say, not as I do
Bei diesem Anti-Prinzip mangelt es an Vorbildfunktion, so dass Bitten oder sogar Befehle zur Änderung von einzelnen gegeben werden, ohne dass diese Änderung von innen heraus stattfindet. Das inkongruente Verhalten ist deutlich zu erkennen. Das eine wird gesagt, das andere getan. Taten passen nicht zu Worten. Um Fredric Laloux, den Autor von “Reinventing Organizations” zu zitieren: “Der Bewusstseinsgrad einer Organisation kann den Bewusstseinsgrad ihrer Führungskraft nicht übersteigen“.
Das ist nichts was Menschen veranlassen oder befehlen können. Es ist nicht dasselbe wie ein Update des Betriebssystems zu starten, wo man einfach das neueste Update herunterlädt, es installiert und den Return Button betätigt. Es ist weder eine Anwendung, die man einfach aktivieren kann, noch eine Änderung des Organigramms die man durchführen kann. Es geht in allen Fällen nicht ohne eine Änderung des Verhaltens, eine Änderung der Kultur.
Es gibt nichts zu finden in den Ursprüngen der Worte “Lead”, “Leader” oder “Leadership”, was mit den Worten “Order”, “Command”, “Direct”, “Commit” oder “Control” zu tun hat. Die Definition von Führung ist nicht jemandem zu befehlen eine Reise zu unternehmen und dann auch noch sagt: “Viel Glück! Lass mich wissen, wenn du dort ankommst”.
Der Ursprung des Wortes stammt von den alt-englischen Wörtern „laedan“, was “führen, begleiten” bedeutet, und layjan, was “reisen” bedeutet. Führen, heisst “auf einer Reise führen/begleiten”. Führungspersonen gehen auf dieselbe Reise wie die Geführten.
- Psychologisch unsicher
Am 1. Februar 2003 zerbrach die Raumfähre Columbia tragischerweise beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre, weil austretender Schaumstoff einen der Flügel traf. Ein Ingenieur hatte sechsmal versucht Bilder des Flügels zu bekommen, bevor ihm gesagt wurde “das ist ein totes Thema”. Der Schaumstoff löste sich regelmässig beim Start und der Erfolg in der Vergangenheit (keine Katastrophen) wurde als Indikator für den zukünftigen Erfolg angesehen. Laut dem Columbia Accident Investigation Board hatte “die Organisationskultur genauso viel mit diesem Unfall zu tun wie der Schaumstoff selber” und “die Ursachen des institutionellen Fehlers, die für die Challenger Katastrophe [17 Jahre zuvor] verantwortlich war, sind heute noch nicht behoben”.
Die Ölkatastrophe von Deepwater Horizon im Jahr 2010 war der schlimmste Ölunfall der Geschichte. Die Hälfte der befragten Arbeiter gab an, Angst vor Repressalien zu haben, wenn sie über unsichere Arbeitsbedingungen berichten würden, die zu der Katastrophe geführt haben.
Im März 2020 stellte der Ausschuss des US-Hauses in seinen vorläufigen Untersuchungsergebnissen zu den tödlichen Abstürzen der Boeing 737 Max fest, dass auf dem Höhepunkt der nötigen Zulassungsaktivitäten “39% der befragten Mitarbeiter einen übermässigen Druck vom Management wahrgenommen haben und dass 29% über die Folgen besorgt waren, wenn sie über diesen erheblichen Druck berichteten würden, was ein besorgniserregendes Bild kultureller Probleme bei Boeing ergibt, die die Sicherheit und Kontrolle untergraben”.
Wenn es eine Kultur der Angst und Furcht vor Repressalien gibt, werden schlechte Nachrichten begraben, bis es zu spät ist. Zwei Hierarchieebenen höher scheint alles in Ordnung zu sein; der RAG-Status (red-amber-green) bleibt so lange auf grün, bis einem alles um die Ohren fliegt und keine Zeit mehr zum Reagieren bleibt. „Wir haben von alledem nichts gewusst…“, ist sicher nur eine der bekannten Floskeln
- Deterministische Denkweise
Eine deterministische Denkweise führt dazu, dass einmalige, nicht bekannte Arbeiten und Situationen so behandelt werden, als wären sie vorhersehbar und schon längst bekannt, und dass das Ergebnis die Lösung und die Aufgaben in einem festen Projektplan vorherbestimmt werden können.
Häufig gibt es ein ” Milestone-Driven Management”, bei dem Erfolg über das Erreichen von Milestones definiert wird. Habt ihr Euch nicht auch schon gefragt, warum in Projekten morbide Begriffe verwendet werden wie „Verfallsdatum“ oder „Deadline“? Dies ist sicher nicht optimal beim Erreichen gemeinsamer Ziele und Ergebnisse.
Der Fokus liegt eher auf dem fixen Output als auf dem Lernen und das Anwenden des Erlernten auf dem gemeinsamen Weg. Der Weg ist das Ziel verstaubt als Spruch in alten Bibliotheken, Konfuzius wäre nicht happy damit.
Der Output der am Anfang mal bestimmt wurde, bei dem die geringsten Informationen zu einem Projekt vorherrschten, ist sicher nicht optimal für das Erreichen des Gesamt-Ergebnis denn die Bedingungen ändern sich ständig.
Es lohnt sich die Frage zu stellen: “Wie oft haben wir genau diese Arbeiten gemacht, in genau diesem Kontext, mit diesen Leuten? Wenn es schon viele Male so gemacht wurde, wie zum Beispiel beim Bau eines Autos oder bei der Installation eines Servers in einem Rechenzentrum, gibt es tatsächlich „bekannte Unbekannte“, und ein schlanker, deterministischer Ansatz kann angebracht sein.
Wenn es noch nie zuvor in genau diesem Zusammenhang gemacht wurde, wie zum Beispiel bei der Entwicklung eines Produkts, einer Änderung der Organisation oder sogar der Installation eines ERP-Systems, gibt es massiv „unbekannte Unbekannte“.
Ein agiler, innovativer Ansatz mit schneller Lernfähigkeit reduziert das Risiko und ermöglicht die Optimierung im Hinblick auf die gewünschten Ergebnisse.
Jedes dieser Anti-Pattern hat ein entsprechendes Gegen-Muster.
- Führungskräfte gehen voraus
Führungspersönlichkeiten führen von vorne, führen und begleiten die Menschen auf einer Reise, wie es dem Ursprung des Wortes entspricht. Man spürt dieselben Prüfungen, Niederschläge und Triumphe. Führung erfordert Mut und Verwundbarkeit, man wird zum Vorbild und lebt die gewünschten Verhaltensweisen vor.
Es ist einfacher darüber zu reden, als es tatsächlich zu tun. Änderung beginnt an der Spitze. Den Satz mit dem Fisch spare ich mir an dieser Stelle 😊
Verhaltensregeln, die von Verantwortlichen in Führungspositionen gezeigt werden, haben einen unverhältnismässig grossen Einfluss auf Kultur, Anerkennung, Belohnung, Verhaltensweisen, Zweck, Motivation und darauf, wer wir sind und wie wir als Unternehmen funktionieren.
Seid mehr Leader, weniger Commander. Stellt sicher, dass es ein hohes „Alignment“ bei den gewünschten Ergebnissen gibt. Lasst dann die Teams autonom daran arbeiten und bietet Unterstützung an, um Hindernisse aus dem Weg zu räumen.
- Psychologische Sicherheit
Um die Ergebnisse zu optimieren, müssen die Menschen in der Lage sein, sicher zu experimentieren. Sie müssen das Gefühl haben, dass es sicher ist zu lernen, den Status quo in Frage zu stellen, jemanden in einer höheren Position zu befragen, Verbesserungsexperimente durchzuführen oder eine Idee zu testen, die scheitern könnte.
Darüber hinaus müssen die Mitarbeiter*innen dafür anerkannt werden, dass sie früh scheitern (frühes Lernen), um so den Trugschluss des Kosten-Nutzen-Verhältnisses zu vermeiden. Es gibt kein fehlgeschlagenes Experiment, es gibt nur das Lernen daraus. Der einzige Fehler ist die Annahme, dass die Zukunft vorhersagbar ist und dass Organisationen reduktionistisch sind, wie die Funktionsweise einer mechanischen Uhr.
Googles Projekt Aristoteles fand heraus, dass an erster Stelle der Bestimmungsfaktoren für leistungsstarke Teams die psychologische Sicherheit ist.
Laut Amy C. Edmondson, Autorin von „The Fearless Organization“, müssen Organisationen drei Schritte unternehmen, um psychologische Sicherheit aufzubauen.
Zuerst müssen Fehler als Lernerfolg angesehen werden und die geschaffene Arbeitswelt als etwas, das nicht persönlich ist, und somit auch frei von Schuldzuweisungen als neu zu definieren ist.
Zweitens müssen sie zur Teilnahme einladen um Input bitten und zuhören, insbesondere wenn die Betroffenen darauf konditioniert wurden, nicht das Wort zu ergreifen.
Drittens müssen sie produktiv reagieren, Wertschätzung für Feedback und stetiges Lernen zum Ausdruck bringen und schnelles, „intelligentes Scheitern“ feiern.
- Neue Denkweise
Die Anwendung einer neuen Denkweise anstelle einer deterministischen Denkweise legt Wert auf Experimente, Zusammenarbeit und kontinuierliches Lernen im Einklang mit den gewünschten Ergebnissen. Es legt den Fokus auf wertvolle Ergebnisse und nicht nur auf einfachen „Output“.
Änderungen, Verbesserungen und die Zukunft sind nicht vorhersehbar und die Art und Weise, wie ein komplexes adaptives System (d.h. eine Organisation) reagiert, ist ebenfalls nicht vorhersehbar. Um die Ergebnisse zu optimieren, muss es eine Verlagerung vom Output (fester Weg, langsames Lernen) zu den Resultaten (wackliger Weg, schnelles Lernen) geben, von vorbestimmten Lösungen zum Testen von Annahemen (learn fast and cheap).
Der beste Weg eine Hypothese zu testen wenn die Arbeit im Entstehen begriffen ist besteht darin zu erforschen, zu spüren und zu reagieren. Organisationen, die überleben und erfolgreich wachsen wollen, müssen ein neues Gedächtnis aufbauen, eine (wieder)lernende Organisation werden, experimentieren, schnelles Feedback einholen und früh und oft auf Neues reagieren.
Die Erarbeitung von Rollenmodellen für das gewünschte Verhalten, die Förderung der psychologischen Sicherheit und die Optimierung der Herangehensweise an die Art der Arbeit, werden als Rückenwind wirken, damit wir schneller, sicherer und glücklicher bessere Leistungen erbringen können.
Gerade in der jetzigen Zeit, brauchen wir Vertrauen und Leader die das beste aus ihnen Mitarbeiter*innen herausholen.
Bleibt gesund, LG Euer Sven